Haftbefehl - Das Schwarze Album
Du weißt das es Haft ist! Haftbefehl- Feuilleton Liebling, Gangster-Rapper und für die meisten das letzte Original: 2020 hypte seine langerwartete LP Das Weisse Album und zählt meiner Meinung nach zu den besten Deutsch-Rap Alben 2020, wenn nicht zu den Besten der letzten Jahre. Es verging nicht mal ein Jahr und schon droppte Haftbefehl ein weiteres, das Schwarze Album, welches sich konzeptionell an das vorherige anschließt. Obgleich man gefühlt noch beim Weissen Album hängen geblieben ist, da es mich und sicherlich viele andere völlig in den Bann gezogen hat, war dementsprechend die Skepsis hoch, ob Haftbefehl überhaupt in so kurzer Zeit etwas Vergleichbares zustande bringen würde. Nicht im Geringsten – und wie es dropped!
Das Schwarze Album wird seinem Titel gerecht: es ist dunkel, impulsiv, angriffslustig und trifft mit einer Wucht. Haftbefehls Texte beschreiben unverhohlen, wie es in seiner Blase und seinem Milieu zugeht, was er durchlebt hat, vor allem bestimmt durch seinen Drogenalltag in der Vergangenheit, den er innerhalb der ersten sechs Tracks zum Thema macht.
Das Album beginnt mit einer künstlerischen Kritik durch Kaputte Aufzüge – ein Motiv, das für eine Personengruppe, die am Rande der Mehrheitsgesellschaft steht, in der Haftbefehl, bürgerlich Aykut Anhan, groß geworden ist. Seine absoluten Bangers Wieder am Block oder Kokaretten, sind genau das, für was man Haftbefehl so feiert: aggressiven Rap, perfekte Hooks und Härte im Sound; all das kombiniert mit seiner Trademark – Lyrics mit Wörtern und Satzstrukturen aus dem kurdischen, arabischen, türkischen und der Zaza-Sprache zu kreieren: alles 100% Haftbefehl.
In Kontrast zu der anfänglichen Glorifizierung, beschreibt Haftbefehl im siebten Track Offen/Geschlossen jenes Leben, als trist und nicht erstrebenswert, welches er so ausdrückt: „Trau dich nicht in unsre Gang/ denn traurig unser Leben“. Der Track hinterlässt etwas sehr melancholisches und bedrückendes.
Selbstsicher und souverän wie gewohnt, rappt er aber wieder in den Tracks Du weißt dass es Haft ist und Lebe Leben, bepackt mit energiegeladenen Hooks und ‚Catch‘ Phrasen und natürlich nie ohne sein mächtiges und impulsives Sounddesign.
Im Schwarzen Album finden sich durchgehend Features von vielen talentierten Rapper*innen unter denen vor allem Soufian in Wieder am Block und Luciano in Ruff hervorstechen.
Auch wenn die zwei letzten, etwas poppigeren Songs des Albums ungewöhnlich für Haftbefehl sind, bezieht er sich in ihnen auf die momentane Lage Deutschlands 2021, sprich der Pandemie und die daraus sehr erkenntlich gewordenen gesellschaftstrukturellen Probleme, wie in dem letzten Track EMSF (Engel mit schwarzen Flügeln) zum Ausdruck gebracht wird:
Kein positives Signal in weiter Ferne
Kein Silberstreifen am Horizont in Sicht
Sie predigen, doch jedes zweite Wort
Das aus ihrem Mund kommt ist Gift
Wir haben die Kontrolle verloren
Ignorieren die Realität sonst nichts
In einem Interview für das Diffus Magazin sagte Haftbefehlt, dass er damit beschreiben möchte, dass erst seit der Pandemie verstärkt sich Leute Gedanken darüber machen, was in unserer Gesellschaft schief läuft, aber gegen die großen offensichtlichen Missstände trotzdem nichts getan wird. Mit diesem pessimistischen Ausklang bezieht er sich aber auch mit ein und sieht sich und seine Vergangenheit kritisch.
Du weißt das es Haft ist! Ja, jeder weiß, dass es Haft ist und kein anderer kann ihn in den Schatten stellen. Durch seinen Ruf des ‚Künstler‘ unter den Gangster Rappern, kann er sich musikalisch und inhaltlich abseits der Rap-Norm bewegen, ohne dass es für ihn einen Imagebruch bedeutet.
Zudem fasziniert seine Musik ein sehr breites Publikum; von den Straßenbanden aus seiner Heimatstadt Offenbach bis hin zum klassischen Bürgertum. Der Autor und Kulturreporter der Zeit Moritz von Uslar kommentierte dies sehr treffend:
„Ein Musiker wird immer dann interessant, wenn er sozusagen den Quantensprung aus seiner Blase oder Milieu rausschafft. Bei Haftbefehl ist es so, dass er eben für ganz ferne Milieus extrem interessant ist. Genial an ihm ist, dass er genau das reflektiert und klug bespielt. Er kann uns erzählen, was dieses Land ist, jenseits vom ersten und zweiten Fernsehen, und kann erzählen, was auf dieses Land gesellschaftlich zukommt in einem ganz erheblichen Maße, nicht nur bezogen auf migrantische Milieus, sondern auch im größeren politischen Kontext.“
Doch wodurch sich Haftbefehls Musik zusätzlich von anderen Rapper*innen hervorhebt, ist seine Ambition die Musik durchdacht und mit einem Konzept zu veröffentlichen, weshalb er plädiert, sein Album von Beginn bis zum Schluss durchzuhören, um es überhaupt vollständig erfassen zu können. Für ihn ist die Reihenfolge seiner Tracks ein wichtiger Prozess. Er sitzt teilweise wochenlang daran die Tracklist zu sortieren, damit sich das Album so stimmig wie möglich anfühlt und die richtige Message dabei rauskommt. Haftbefehl ist einer der wenigen Deutschrapper, der noch vollständige konzeptionelle Alben auf den Markt bringt und kritisiert, dass heutzutage leider der Trend befolgt wird, nur noch einzelne Songs zu veröffentlichen, dadurch der Anspruch aber an die eigene Musik verloren geht.
Ich bin begeistert nach einer wirklich phänomenalen LP – Das Weisse Album – jetzt noch eine weitere geniale Platte wie – Das Schwarze Album – rotieren zu können, abseits von all den Rapper*innen, die sich, wie es scheint, alle an den gleichen tanzbaren Trends von Cloudrap bis hin zu Autotune orientieren.
Das Schwarze Album auf Spotify: