Haiyti - influencer

Artwork: influencer, Haiyti

Artwork: influencer, Haiyti

„Und die Wolken zieh'n / feier' mein Comeback / Weiß nicht, wo ich war, doch zu lange weg/ Ja, ich wollt' zu viel, wäre fast verreckt/ Weiß nicht, wo ich war, wisch' die Tränen weg“

Zerbrochen und enttäuscht meldet sich Haiyti nach nur knapp einem halben Jahr Abwesenheit in der Musikszene zurück. So beginnt Ihre neue Platte influencer mit dem Song comeback, in dem sie ihrer Enttäuschung und ihrem Selbstzweifel Ausdruck gibt. Warum?, da sie mit ihrer letzten Platte „Sui-Sui“ schon wieder nicht das erreichte, was sie sich erhofft hatte, nämlich den Durchbruch und das Ansehen im Mainstreams. Die Rapperin lässt sich jedoch nicht unterkriegen und rappelt sich auf,: „scheiss auf gestern / das war gestern“ wie sie in comeback schliesst. Sie lässt sich von ihrer Überzeugung, dass sie „deutschraps Zukunft“ und die eigentliche influencer*in für diejenigen ist, die momentan jegliche Aufmerksamkeit kassieren, nicht abbringen. Ihrer Kränkung wird aber lediglich im Intro comeback behandelt, in den folgenden 18 Tracks setzt sie sich selbstbewusst und überzeugend in Szene und beweist somit, dass sie ihrer Krise komplett den Rücken zukehrt: influencer ist ein Konter an die Rap-Branche und Abgrenzung von ihren Konkurrent*innen. Haiyti bleibt dabei ihrem Stil treu und überrascht zugleich mit einer Vielfalt an neuen kreativen Einfällen. Ihre Platte hat mich seit dem ersten Hören in den Bann gezogen, wie keines ihrer vorherigen Alben.


Zum einen sind ihre Texte extrem facettenreich, die ihre zerbrechliche aber auch angriffslustige und wehrhafte Seiten zeigen. Die Tracks wechseln ständig ihre trappigen Beats, die manchmal flowiger sind, manchmal drillig und aggressiv. Sie bringt Rap und Gesang mit ihrer unverwechselbaren kratzigen Stimme zusammen. À la Haiyti betont sie die Wörter ganz unterschiedlich und es scheint, als biege sie sich die Worte zurecht, damit sie sich reimen, was im Track klunker sehr gut zu hören ist.

Mit tak tak landet Haiyti einen musikalischen Volltreffer: nach einer melancholischen Klaviermelodie, folgt ein Beatdrop, dann setzt Haiyti mit lauten „Atemgeräuschen“ ein, die klingen, als würde sie damit den Gegenüber einschüchtern wollen und sich auf einen Kampf vorbereiten, bevor sie überhaupt anfängt zu rappen. Ihre Einstiegsline gibt dann den Rest: Steige aus dem Sarg, mir geht's fresher denn je/ Neuer Hoodie, neues—, / doch it must be Cartier.“ Ihre Statements und die Betonung ihrer Wörter auf der letzten Silbe geben dem Track einen so wunderbaren Flow, sie ist dezidiert anmassend und bringt Ihre Provokationen so subtil und clever mit dem richtigen Maß an Überheblichkeit rüber.

Der Track Sweet ist meiner Meinung nach wohl der Genialste der ganzen Platte: Eine rappende aggressive, angriffslustige und humorvolle Haiyti; jede Line sitzt zu 100%, die Main Hook könnte nicht besser gerappt werden und sprießt nur so vor raffinierter Provokation:

„Zehner Kombi, flex' im Jeep, schieß', scheiß auf Wannabes/ Was sie tun für die Klicks ist schon fast wieder sweet/ Die Ketten funkeln mies, erst Love und dann Beef/ Was sie tun für die Klicks ist schon fast wieder sweet“

Haiyti zeigt sich auf influencer vorwiegend von ihrer angriffslustigen Seite, rechnet ab und beweist die credibility einer unverfälschten Ganster-Rapperin, deren Gegenangriffe nie zu Ende gehen scheinen. Viele Songs zeigen aber auch Haiytis verletzliche Seite, wie beispielsweise in star und zurück als auch weltzeituhr zu hören, die dem Album eine überraschende Wendung und Tiefe geben.

Haiyti gegen den Rest?! - Zwischen influencerin und Außenseiterin

Im Vergleich zu ihrer Konkurrenz hat Haiyti's Musik etwas Erfrischendes. Es hat den Anschein, als kopieren sich alle Deutchrapper*innen gegenseitig, geleitet von dem, was sich im Deutschrap am besten verkauft. Es scheint so, als ist Haiyti eine der Einzigen, die sich dem ganzen aber widersetzt.

„Ist sie der ewige Geheimtipp?“ lese ich während meiner Recherche in der Juice über Haiytis Album. Ja, die gleiche Frage stelle ich mir auch, so wie ungefähr die komplette Kulturjournalismus-Branche und letztlich Haiyti selbst. Wo bleibt ihr wohlverdienter Erfolg, nachdem sie innerhalb 4 Jahren 8 Tonträger LPs, 6 EPs veröffentlichte und nebenher etliche A-Klasse Rapper wie Trettmann, LGoony und Frauenarzt featured.


Haiyti's Konzept folgt weder einem Plan noch lässt sie sich von Produzent*innen oder Manager*innen helfen. Sie packt alles alleine an, bastelt und produziert alle Songs selbst, und wenn, dann sucht sie nur nach einen „Musikproduzenten ohne Egoproblem“ (laut ihrem Twitteraccount); „Leute, die ruhig bleiben und ihr ein ordentliches Konzept bieten können.“ (Interview: wundersame Rapwoche) Es scheint aber, als könne nur sie selbst ihrem Anspruch gerecht werden, da ihr Konzept ist, kein Konzept zu haben. Das meiste denkt sie sich spontan aus, vollendet teilweise die Tracks unterwegs in der U-Bahn, um die Abgabe ihres Albums einzuhalten, bevor es in die Pressung kommt - dreht Videos mehr oder weniger semiprofessionell und veröffentlich diese sporadisch. Weder ihre Musik noch die selbstproduzierten Videos geben Anlass zur Beanstandung, sie sind ganz im Gegenteil Ausdruck der intuitiven Kreativität Haiyti's in der Spontanität und Randomness den Prozess bestimmen, und so ihre Videos und Musik sehr einzigartig und abwechslungsreich machen.

Diese Freiheit kommt für die Rapperin jedoch nicht ohne Folgen: laut Haiyti widme sie zwei Prozent ihrer Zeit der Musik; der Rest gehe auf eigenes Marketing und Management. Die eigentlichen finanziellen Ziele der Rapperin, wie sie auch in ihren Songs von Saint Tropez und Hollywood von Extravaganzen träumt, haben sich bis dato noch nicht erfüllen können. Allein durch die Produktion ihres Albums „Sui Sui“ ging sie mit 100.000 Euro ins Minus, gibt aber offen zu, nicht wirtschaften zu können und müsse deshalb im „Szenezirkus“ mitspielen.

Der Szenezirkus mag immer noch eine wichtige Funktion haben, sich Aufmerksamkeit in der Rap-Branche zu verschaffen, aber ein beachtlicher Faktor für Haiytis ausstehendem Erfolg ist jedoch, in Zeiten von Spotify, ihre im Verhältnis geringen Klicks und fehlende Aufmerksamkeit, die letztendlich ihre Konkurrenz „auszeichnet“. Eine der bisher reichweitstärksten Spotify-Playlisten im Genre Deutschrap „Modus-Mio“, geliked von 1,5 Millionen Usern, entscheidet im deutschen Rap mittlerweile über Karrieren. Anachronistisch zu jeglichem Lob und Aufmerksamkeit der Kulturjournalistik, war Haiyti bis jetzt nur wenige Male auf jener Playlist vertreten.


Haiyti bezeichnet sich als Gangster-Rapperin, da sie den Ghettolebenslauf aufweisen kann, den sich so manch andere Artists der Rap-Branche nur erwünschen können, sie jedoch vorwiegend als Kunstfigur verortet wird. Sie bezeichnet diese Verortung als Missverständnis, da die Verbindung zur Kunst in ihrem Hamburger-Kreis als normal gelte und sie sich mit der Bezeichnung einer Kunstfigur gegenüber der Rap-Branche unrecht abgeschoben fühle.


Haiyti’s Rezeptur für ihre Musik ist wohl die Kombination aus Spontanität, 'do-it-yourself' und vor allem die Erwartungen anderer Leute nicht zu erfüllen, obwohl dies laut Haiyti, gar nicht beabsichtigt sei und das wohl eher „aus versehen“ passiert. Allerdings ist das ist wohl der Grund, was Haiyti so sympathisch und authentisch macht. Doch alles steht wohl unter dem Image, mit dem sie spielt und dieses letztendlich auch pflegt: deutschen Rap zu schaffen, der sich gegen den Strom des momentanen Rap-Booms bewegt, gemessen an Spotify Klicks als Maßstab von Erfolg. Wie sie auf in ihrem Track sweet rapt, liegt es wohl daran: „fehlende Realness in der Szene gibt es noch immer Lebenslänglich“; sprich, wer sich den Regeln der Rap-Branche unterordnet und mit schwimmt, der hat Erfolg, aber der Anspruch, authentisch und der eigenen Kreativität treu zu bleiben, stehen womöglich nur an zweiter Stelle.

Der Länge meines Artikels zufolge nach, zeigt sich, dass sich hinter Haiytis Musik und Person wirklich viel verbirgt und ich könnte hier noch viel ausschweifender werden, da ihre Lyrics vollgepackt mit cleveren Anspielungen und Provokationen sind, die sie zusätzlich durch ihre ganze Wesensart und Kreativität extrem überzeugend und authentisch rüberbringt. Ich lehne mich nun weit aus dem Fenster und begründe Haiytis fehlenden Erfolg im Mainstream damit, dass ihre Musik letztendlich zu clever und vielschichtig für den „normalen“ Hörer ist, der viel genauer hinhören und sich mehr Zeit nehmen müsste, um die Raffinesse ihrer Musik wirklich zu erfassen. Es gibt wohl keine vergleichbare Rapperin in Deutschland, die so einzigartig ist. influencer ist meiner Meinung nach das beste Deutsch-Rap Album 2020, dicht gefolgt von Haftbefehls Das weisse Album auf Platz 1. Beides einfach nur krasse Bretter! ;)

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